Die Zeit läuft: Ausbauprojekte für erneuerbare Energien
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6. Oktober 2023 – Bis 2050 braucht die Schweiz mindestens 37 Terawattstunden (TWh) mehr Strom, um die Lücke zu füllen, die durch die Dekarbonisierung und die Stilllegung der Kernkraftwerke entsteht. Wir müssen die Wind-, Wasser- und Solarenergie ausbauen – und zwar schnell! Doch selbst wenn alle 104 dem Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE) bekannten Projekte realisiert würden, käme nur eine Jahresproduktion von 4 TWh dazu. Darüber hinaus weiss man aus Erfahrung, dass Jahrzehnte ins Land ziehen können, bis ein solches Projekt ans Netz geht.
Graubünden und Wallis haben Grosses vor
Sortiert man die Liste des VSE nach der Jahresproduktion, erscheinen auf den obersten drei Plätzen drei Wasserkraftprojekte im Bündnerland: das Ausleitkraftwerk Ilanz-Bonaduz mit 280 Gigawattstunden (GWh), Chlus mit 230 GWh und das Ausleitkraftwerk Domat/Ems-Sarrelli/Mastrils mit 220 GWh. Die beiden Ausleitkraftwerke sind erst in der Planung, Chlus immerhin schon in der Projektierung. Eine gehörige Ladung Winterstrom (650 GWh) könnte der Mehrzweckspeicher Gorner oberhalb von Zermatt produzieren – Projektstand: Projektierung. Ebenfalls im Wallis laufen Vorstudien zum grössten dem VSE bekannten Photovoltaikprojekt. Die hochalpine Solaranlage Grengiols Solar könnte 110 GWh im Jahr produzieren. Die Übersicht des VSE bildet nur grosse Produktionsanlagen ab. Von grosser Bedeutung wird aber auch sein, wie sich Photovoltaikanlagen auf bestehender Infrastruktur entwickeln – im Idealszenario liefern sie rund 16 TWh erneuerbare Energie im Jahr.
Wind aus der Waadt
Die grössten beiden Windparks auf der Liste sind im Kanton Waadt in der Projektierungsphase: Mollendruz mit 112 GWh Jahresproduktion und Provence mit 105 GWh. Das Gute an Windenergie: Zwei Drittel fallen im Winter an. 30 GWh Windenergie im Jahr könnte das Schaffhauser Projekt Chroobach erzeugen, an dem EKS beteiligt ist.
Ein Wettlauf gegen die Zeit
Ausbauprojekte stossen auf Widerstand, vor allem Windanlagen. Einsprachen und Rechtsstreitigkeiten können die Vorhaben um Jahre verzögern oder ganz verhindern. Die Liste an Ideen ist lang, viele Projekte befinden sich in den Vorstudien oder in der Projektierung. Tatsächlich realisiert werden derzeit vier Wasserkraftprojekte auf der Liste des VSE. Das grösste davon ist das Kraftwerk Ritom im Tessin, das 150 GWh pro Jahr verspricht. Sousbach im Kanton Bern will 30,6 GWh beisteuern, die Gesamterneuerung des Kraftwerks Robbia in Graubünden 10 GWh. Das letzte im Bund ist das Wasserkraftwerk Waldemme im Kanton Luzern, das jährlich 6,5 GWh produzieren wird. Es konnte nach 18 Jahren Planung und einem langen Bewilligungsprozedere im September 2023 in Betrieb genommen werden. Das Problem ist erkannt, politische Bemühungen laufen, um das Tempo zu erhöhen. Das Parlament hat sowohl die Solar- als auch die Windoffensive beschlossen, um die Bewilligungsverfahren zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen. Ebenso markiert die kürzlich vom Parlament verabschiedete Revision des Energiegesetzes und des Stromversorgungsgesetzes einen wichtigen Meilenstein in der Schweizer Energiepolitik. Die Vorlage ist auch bekannt als «Mantelerlass» und hält ambitionierte Ausbauziele fest. Denn es braucht noch viel mehr als die momentan bekannten 104 Projekte.