Energie aus dem Rhein
Im Wasserkraftwerk Schaffhausen verwandelt sich der sonst so beschaulich dahinfliessende Rhein in eine kraftvolle Energiequelle. Stefan Mayer arbeitet im Auftrag der Kraftwerk Schaffhausen AG. Er führt uns durch die Anlage und erzählt von ihrer Entstehungsgeschichte.
Es ist laut. Überall. Im Wasserkraftwerk dröhnen die Maschinen, draussen rauscht lautstark das Wasser. Die Lautstärke lässt erahnen, mit welcher Kraft das Wasser durch die Anlage strömt. Im Jahr werden so rund 165 Millionen Kilowattstunden (kWh) Energie erzeugt. Das reicht, um bis zu 33’000 Haushalte mit Strom zu versorgen.
Seit über 170 Jahren wird der Rhein bei Schaffhausen als Energiequelle genutzt. Ursprünglich wurde allerdings kein Strom erzeugt, sondern das strömende Wasser trieb wie bei einer Wassermühle per Drahtseiltransmission mechanisch Maschinen an. «1850 hat Heinrich Moser in den Stromschnellen des sogenannten kleinen Rheinfalls den ersten Schweizer Damm mit hydromechanischen Turbinen gebaut», berichtet Stefan Mayer, Geschäftsbereichsleiter Elektrizität bei SH POWER.
Industrialisierung mit Wasserkraft
Moser, der einer bekannten Schaffhauser Uhrmacherfamilie entstammte, war Mitte des 19. Jahrhunderts zum Hoflieferanten der russischen Zaren aufgestiegen. Nachdem er in St. Petersburg, Moskau und im neuenburgischen Le Locle Filialen seines Unternehmens aufgebaut hatte, wollte er auch die Industrialisierung in seiner Heimatstadt voranbringen. Dazu errichtete er auf einem Areal am rechten Rheinufer ein Fabrikgebäude. Um es mit Energie zu versorgen, baute er den sogenannten Moserdamm.
Schon wenige Jahre später konnte die mithilfe des Damms gewonnene Energie den Bedarf nicht mehr decken. «Ab 1863 kamen nach und nach Kraftwerksanlagen zur Stromproduktion dazu», erzählt Mayer. Diese wurden immer wieder ersetzt, bis schliesslich 1963 das heutige Wasserkraftwerk errichtet wurde.
Erstes Kraftwerk nach dem Bodensee
Die Lage des Kraftwerks bringt viele Vorteile mit sich. Als erstes Rheinkraftwerk nach dem Bodensee erreicht selbst bei Hochwasser nur wenig grosses Treibgut die Anlage. Weiter setzt sich der aus den Alpen mitgeführte Kies bereits im Bodensee ab, so dass nur wenig «Geschiebe» ins Kraftwerk gelangt. Generell wirkt der Bodensee als Puffer, der selbst Extremwetterereignisse abfedert. Trotzdem lassen sich in den vergangenen Jahren Veränderungen beim Rheinwasser feststellen. «Früher wurde im Sommer nach der Schneeschmelze im Juni/Juli am meisten Strom produziert», so Mayer. «Durch steigende Temperaturen im Winter nehmen neuerdings die Wassermengen in den Wintermonaten tendenziell zu – und damit auch die Stromproduktion.»
26 MW
Leistung
ca. 165 GWh
Stromproduktion pro Jahr
54,6 %
Bezugsrecht SH POWER
Eigentümer
Kraftwerk Schaffhausen AG
Gütesiegel
«naturmade star»
zertifiziert
Hochwasserschutz für die Stadt
Die Stadt Schaffhausen profitiert nicht nur von der Stromgewinnung durch das Kraftwerk. Es schützt die Stadt auch vor Hochwasser, indem es den Wasserpegel an der Schifflände Schaffhausen stets auf einer Höhe von exakt 390,8 m ü. M. hält. Waren noch zu Zeiten des Moserdamms Überschwemmungen in der Unterstadt an der Tagesordnung, gehören diese seit dem Bau des heutigen Kraftwerks endgültig der Vergangenheit an.
Eigentümerin des Kraftwerks Schaffhausen ist die KWS AG. Aktionäre sind die Stadt Schaffhausen, die Axpo und der Kanton Schaffhausen. Da die KWS AG selbst keine Mitarbeitenden hat, hat sie die SH POWER mit der Geschäfts- und Betriebsführung des Kraftwerks beauftragt. Die Konzession wurde der SH POWER für 80 Jahre erteilt und endet im Jahr 2043.
«Aktuell sind zehn Personen vom Team Produktionsanlagen für das Kraftwerk sowie das Pumpspeicherkraftwerk Engeweiher zuständig», sagt Mayer. «Neben Betrieb, Unterhalt und Wartung des Kraftwerks zählen auch der Unterhalt der Ufer zu ihren Aufgaben.» Das heisst, sie sind für die Ufergestaltung vom Schupfen bis zu der Eisenbrücke zwischen Flurlingen und Neuhausen am Rheinfall verantwortlich.
Uferstrecken werden renaturiert
Das Kraftwerk Schaffhausen ist nach «naturemade star» zertifiziert, einem der weltweit höchsten Standards für die Energieerzeugung. Aus jeder Kilowattstunde, die mit dem Label «naturemade star» an Endkunden geliefert wird, werden 0,7 Rappen in einen Ökofonds eingezahlt. Dieser Fonds dient zur Finanzierung von Renaturierungsprojekten oder anderen ökologischen Aufwertungen von Gewässern.
«Jahr für Jahr renaturieren wir die Uferstrecken», berichtet der Kraftwerksexperte. «Ziel ist es – wo möglich – feste Uferverbauungen zu entfernen und natürliche Uferstrukturen wieder herzustellen.» So sollen wieder Lebensräume für Jungfische, Vögel und andere Tiere entstehen. Als eines der grössten Projekte ist für die kommenden Jahre der Bau einer breiteren Fischtreppe am linken Ufer geplant. «Es ist für Betreiber von Wasserkraftwerken eine grosse Herausforderung, den Schutz von Natur und Tieren mit der Gewinnung von erneuerbarer, klimaschonender Energie in Einklang zu bringen», sagt Mayer.
Inken De Wit