Wasserkraft ist eine Wissenschaft
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25. April 2024 – Die Wasserkraft ist das Rückgrat der Schweizer Stromversorgung. Doch ein reiner Selbstläufer ist sie nicht – sie muss ständig optimiert werden. Speicherseen neigen dazu, durch Geröll und Kies kleiner zu werden. Sedimente nutzen mit der Zeit die Turbinen ab. ETH-Forschende entwickeln Lösungen dafür. Und nicht nur dafür. Sie suchen auch Antworten auf Fragen des effizienten Wassermanagements und an welchen Standorten Wasserkraft wirksam und umweltschonend genutzt werden kann. Eine Medienmitteilung der ETH Zürich vom 2. April 2024 gibt Einblick in die Arbeit des Forschungsteams um Professor Robert Boes.
Laufwasserkraftwerke verbessern
Je gleichmässiger das Wasser fliesst, desto besser ist die Stromproduktion eines Laufwasserkraftwerks. Zu viel Wasser überlastet die Turbinen. Eine Studie der Forschenden zeigte, dass in den Limmatkraftwerken mit einer neuen Steuerungsstrategie rund zwei Prozent mehr Strom erzeugt werden könnte. Die Wehranlage am Platzspitz in Zürich regelt den Zürichseepegel und wie viel Wasser in die Limmat fliesst. ETH-Professor Boes erklärte in der Mitteilung: «Sagt das Wettermodell starken Regen vorher, würde die smarte Wehranlage bereits vorab etwas mehr Wasser in die Limmat ablassen. Wenn es dann regnet, hat der See mehr Puffer und kann trotz der starken Niederschläge weiterhin gleichmässig Wasser an die Limmat abgeben.» Ähnliche Massnahmen könnten an den Flüssen im Mittelland angewendet werden. Rund 100 Gigawattstunden mehr Strom im Jahr – so hat es das Forschungsteam berechnet – könnte mit einer optimierten Steuerung in den Schweizer Laufwasserkraftwerken produziert werden.
Turbinen schützen
Sedimente, winzige Partikel im Wasser, wirken wie Schmirgelpapier auf die Turbinen – und abgenutzte Turbinen produzieren weniger Strom. Entsanderbecken helfen, lösen das Problem aber nicht vollständig. Die Forschenden raten zu langen Becken mit sanftem Gefälle, in denen das Wasser langsam fliesst und die Sedimente sich leichter am Boden absetzen können. Der Haken: Solche Becken sind teurer und platzintensiver.
Umleitstollen aus Granit
Geröll und Kies, das in Stauseen gelangt, reduziert deren Speichervolumen. Dieses Problem nennt sich «Verlandung» und könnte die Schweizer Stauseen bis 2050 bis zu sieben Prozent Speicherkapazität kosten. Umleitstollen führen bei Hochwasser Steine, Kies und Sedimente an der Staumauer vorbei. Doch der Transport des Gesteins nutzt die Umleitstollen mitunter stark ab. Stellt sich die Frage, mit welchem Material die Umleitstollen am besten ausgekleidet werden. Granit, lautete die Antwort der Forschenden nach zahlreichen Tests. Er hält der Abnützung am ehesten stand. In jedem Fall sind Umleitstollen wirksam. Im Stausee Solis in Graubünden konnte die jährliche Verlandung um mehr als 80 Prozent reduziert werden. Durch das richtige Speichermanagement kann die Wirkung noch erhöht werden: Wird der Wasserspiegel des Stausees tief genug abgesenkt, reisst der einströmende Fluss besonders viel Gestein und Sedimente mit, um es über die Stollen abzuführen.
Ausbau der Wasserkraft
Weiter beschäftigte sich die Forschungsgruppe mit dem Ausbaupotenzial der Schweizer Wasserkraft. In welchen Gletscherrückzugsgebieten wären neue Stauseen sinnvoll? Welche Talsperren könnten zugunsten von mehr Speichervolumen erhöht werden? Das Bundesamt für Energie hat die Ergebnisse der ETH in die Diskussion um den Aus- und Neubau von Wasserkraftwerken mit Stromkonzernen, Umweltschutzverbänden und Kantonen aufgenommen. 15 Projekte sind ins neue Stromversorgungsgesetz eingeflossen, über das wir im Juni 2024 abstimmen.